Sunday, October 4, 2009

Oberflächlich oder freundlich?

Nach nun zwei Monaten in Amerika kann ich einiges über die Amerikaner und ihre Gewohnheiten und Einstellungen sagen. Meine erste Begegnung mit Amerikanern fand im Haus eines Freundes einer Freundin einer Studentin statt, die ich an diesem Abend zum ersten Mal gesehen hatte. In Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit, hier Normalität: bring einfach deine Freunde mit, auch wenn es fünf sind und auch, wenn sie null mit dem Gastgeber zu tun haben ... und auch, wenn der Gastgeber eigentlich nur ein Bekannter von dir ist und du ihn vielleicht erst zum zweiten Mal in deinem Leben siehst. Außerdem sollte ich erwähnen, dass der Gastgeber in diesem Fall kein Amerikaner im eigentlichen Sinne war, sondern ein Italiener. Dies ist für Kalifornien typisch - fast alle Menschen sind gerade erst hier angekommen. Wie auch an diesem Abend. Und es war einfach, unkompliziert und toll neue Menschen aus aller Welt kennenzulernen: da war die Japanerin, die umweltfreundliche Duschmittel vertreibt und die Jahreszeiten vermisst, die Palästinenserin, die aus nachvollziehbaren Gründen nicht gerne ihre Heimat besucht, der Italiener, der gemeinsam mit einem anderen Italiener hier ein Business aufbaute und nun nach Belgien gezogen ist, und natürlich die Mexikanerin, die nicht viel über sich verrät. Obwohl manche Menschen hier geboren sind, fühlen sie sich immer noch ihrer ursprünglichen Heimat näher. Orange County ist dann die zweite Heimat. Und so verteidigen sie den Sprawl und seine Auswirkungen und erzählen, dass sie es lieben wie es ist und es soll sich doch bitte nichts verändern. Genauso waren an diesem Abend aber auch Menschen zugegen, die sich für ihre Umwelt verantwortlich fühlen. Ist es nur Zufall, dass diese nicht aus Kalifornien stammten?

Das Essen war hervorragend. Es war ja auch mediterran und somit meinem europäischen Geschmackssinn angepasst: Nudeln mit Walnussöl und Gorgonzola, Rosenkohl-Kartoffel-Salat, gebratene Auberginen und Zucchini und anislikörparfümierte Erdbeeren sind natürlich ein Genuss in der Fastfoodwüste Amerika. Der Wein erleichterte die Konversation ...

Eine übliche Unterhaltung läuft immer nach folgendem Schema ab:
1. Ich bin ..., schön dich kennenzulernen.
2. Woher kommst du?
3. Wie lange bist du schon hier?
4. Wie gefällt es dir hier?
5. Was hast du hier schon gesehen / unternommen?
6. Was machst du?
7. Du musst unbedingt noch das und das machen. Hier hast du meinen Kontakt.

Wirklich fast jede Konversation vollzieht sich nach diesem Schema! Nach einer Weile war ich die Fragen leid und konnte sie schon fast auswendig beantworten.

Auch zwischenmenschliche Begegnungen laufen schematisch ab, wie auch meinem Lieblingsreiseführer "Gebrauchsanweisung für die USA" (Adriano Sack 2008) zu entnehmen ist:

1. "I am seeing her/him" - wir haben uns mehrfach getroffen, haben vielleicht auch schon Sex gehabt. Unverbindlich und mit mehreren Menschen möglich.

2. "I am dating her/him" - wir treffen uns regelmäßig und haben Sex. Auch mit mehreren Personen gleichzeitig möglich.

3. "He is my boyfriend/She is my girlfriend": Wir sind ein Paar. Sex mit anderen ist aber nicht ausgeschlossen. Wenn ich also erzähle "I have a boyfriend", dann heißt das noch lange nicht, dass ich dem treu bin. (Berichtigung: aus zuverlässiger amerikanischer Quelle habe ich erfahren, dass das NICHT stimmt: "boyfriend" bedeutet, wir befinden uns in einer festen Beziehung, es sei denn der Zusatz "open relationship" - offene Beziehung - wird angewendet).

4. "We are in a commited relationship" - Wir sind ein Paar und sind uns treu.

Die meisten Amerikaner, denen ich bisher begegnet sind, befinden sich irgendwo zwischen der 1. und 2. Stufe. Monogame Beziehungen scheinen im Gegensatz zu Deutschland doch eher selten zu sein. Zumindest bei jungen Leuten. Auch das spiegelt vielleicht die Oberflächlichkeit, oder anders gesagt, Unabhängigkeit, wider, die die Amerikaner ausmacht.

Typisch amerikanisch ist es auch, wie ich zum ersten Mal schmerzhaft in Wien feststellen musste, Leute, die miteinander reden, einfach zu unterbrechen. Den amerikanischen Gesprächspartner kümmert das dann auch gar nicht, er plaudert einfach munter mit der anderen Person weiter. Als Deutscher Verlässlichkeit und Loyalität gewöhnt, tut das schon weh, wenn eine nette Konversation einfach unterbrochen wird. Auch habe ich manchmal den Eindruck Amerikaner hören nicht richtig zu. Da erzählt man etwas, und 5 Minuten später wird man genau nach dem gefragt, was man gerade erst erzählt hat. Umgekehrt nimmt es aber auch niemand krumm, wenn man beispielsweise bei der Vorstellung den Namen nicht richtig mitbekommen hat - oder ihn einfach vergessen hat - und noch mal nachfragt.

All dies hat auch etwas positives: nie vorher habe ich so schnell so viele Leute kennengelernt. Auch sind immer alle freundlich und dies schafft eine positive Atmosphäre: ob im Haus eines Freundes, im Supermarkt, oder am Arbeitsplatz - diese Leichtigkeit macht das Leben schöner und angenehmer. Natürlich höre ich euch schon sagen: "Aber das ist doch alles nur oberflächlich". Und tatsächlich - vieles ist oberflächlich und gespielt. Vergnügen steht an oberster Stelle. Eine Freundin von mir hat offensichtlich großes Interesse an einem Freund. Bevor sie diesen über mich kennengelernt hat, hat sie nur mäßiges Interesse und keine Initiative mir gegenüber gezeigt. Nach dem ersten Treffen mit meinem Freund, wollte sie sich sofort wieder mit uns treffen. Dass dies nur wegen meines Freundes war und mit uns gar nichts zu tun hatte, würde sie natürlich nie zugeben (dass dies so sein könnte, ist nur eine Vermutung von mir, ich möchte ja niemandem etwas unterstellen...).
Manchmal kann man es in ihren Augen ablesen: sie sagen etwas eigentlich sehr freundliches, aber ihre Augen sagen: "Nerv mich nicht!" oder "Ich bin sowieso viel besser als du und du langweilst mich". Die meiste Zeit aber sieht man ihnen das nicht an, denn natürlich, so nahe an Hollywood aufgewachsen, können sie super gut schauspielern.


Neben Schauspielerei haben sie offenbar auch das modeln von kleinauf geübt: in jeder Bar, in jedem Club und auch im Restaurant, immer wenn Freunde zusammen kommen, oder auch Leute, die sich eigentlich gar nicht kennen - also eigentlich immer - wird ein Blitzlichgewitter losgelassen, das keine Gnade kennt und jeden Winkel erfasst. Und immer wenn ein Amerikaner geknipst wird, ist sein Lächeln perfekt strahlendweiß, die Augen weit aufgerissen und die Pose perfekt. Da steht man als Deutscher etwas belämmert daneben.

Ein weiteres Vorurteil sind die mangelhaften Kenntnisse, die über Amerika hinausgehen und altertümliche Vorstellungen. Geografisch ist offenbar tatsächlich nicht viel drin, die wenigsten haben Orientierung oder eine Straßenkarte im Auto, sie schreiben sich nur auf: links auf die Straße, rechts auf die, rechts auf die usw. Dann kommen solche Kommentare wie "Berlin? Kenn ich nicht, ich kenn nur Dresden", "Bist du aus München? Ich habe einen Freund, der dort wohnt"., "Ist der Dialekt in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich?" Im betrunkenen Zustand dann auch schon mal "Bist du ein Nazi? Würdest du Juden etwas zuleide tun?". Aber es gibt auch andere Erfahrungen: Eine Amerikanerin meinte zu mir: "Ich bin im Militärstutzpunkt aufgewachsen, meine Eltern sind immer noch dort. Meine Mutter liebt Deutschland!". Die meisten Bemerkungen über Deutschland sind aber eher merkwürdig und ebenfalls oberflächlich wie das gesamte Gespräch. Wobei mit "oberflächlich" nicht unbedingt die Tiefe der Thematik gemeint ist, sondern vielmehr das wirkliche und das gespielte Interesse an einer Person. Ich wurde durchaus gefragt, ob ich meinen Freund vermisse - die Reaktion auf meine Antwort war ein perfekt einstudiertes und auf die Sekunde gleichzeitig begonnenes "ooahhh". Ein anderes Mal unterhielt ich mich im Auto mit einer Amerikanerin und erzählte ihr sehr persönliche Sachen, als sie plötzlich vom Beifahrer unterbrochen wird und munter mit dem weiter redet - da fühlt man sich einfach nicht ernst genommen. Das beste Beispiel ist und bleibt natürlich das obligatorische "How are you?" - "Wie geht es dir?", das jedes Service-Personal fragt. Eh ich meine Antwort in Gedanken formuliert habe, bin ich aber schon vorbei gelaufen - und das kümmert auch gar keinen. Dennoch, manchmal, wenn jemand antwortet "ok", und ich frage nach, was denn los sei, bekomme ich auch eine Antwort oder werde gefragt. Aber das trifft eher auf gute Freunde zu.

Amerikaner benehmen sich also oberflächlich, die Gespräche mit ihnen beruhen eher auf Smalltalk und überhaupt zählt hier in Kalifornien am meisten das Vergnügen und der Materialismus - Und doch: die positive Atmosphäre sticht die Oberflächlichkeit bei weitem aus: Hier scheint einfach immer die Sonne, und so sind auch die Menschen. Und das macht das Leben wirklich fröhlich, einfach und lebenswert.

Und dann sind da auch die Ausnahmen, die Menschen, die wirklich ihr ehrliches und wahrhaftes Ich zeigen und die ich sofort in mein Herz schließe und von denen ich auch nicht enttäuscht werde.